Links:

Ventura Verlag
Verbrecherverlag
René Hamann
Suhrkamp
Andreas Maier

 
Fritz Müller-Zech 57
Die Kolumne
 

"Schreib' bloß nicht wieder so eine Jammerkolumne, Müller-Zech. Diesen depressiven Käse will doch niemand mehr lesen." Ich halte den Telefonhörer in einigem Abstand von meinem rechten Ohr. Dennoch klingt die Tirade des Redakteurs so klar, als ob er direkt neben mir stände. Jetzt fängt er an, über die Finanzkrise zu schwadronieren. Gerade in einer solchen, existentiell bedrohlichen Situation fänden doch viele Menschen zur Literatur, würden Trost, Entspannung und Ablenkung in Büchern suchen. Ich solle mich gefälligst als Lebenshelfer verstehen, anstatt in sauertöpfischer Manier den Leuten ihre Lektüre madig zu machen. Vor allem sei es förmlich unanständig, dauernd über das angeblich zu niedrige Honorar zu klagen, das mir diese Zeitschrift in unregelmäßigen Abständen anweist. Nicht wenige, und hier nimmt die Stimme des Redakteurs einen drohenden Ton an, würden sogar etwas dafür zahlen, böte man ihnen die Gelegenheit, interessierten Lesern ihre Meinungen oder ihre selbstverfassten Gedichte nahezubringen. Damit legt er auf. Mir ist übel. Seit Wochen schlafe ich schlecht, weil mir nichts einfallen mag. Und dann dieser Anruf. An Tagen wie heute möchte ich die Schreiberei am liebsten drangeben. Dann erscheint der Reiz, mir wildfremde Menschen mit dem zu behelligen, was ich über irgendwelche Bücher denke, eher gering, und die Versuchung, mich nur noch meinen Flugmodellen und dem Fernsehprogramm zu widmen, wird größer, zumal ich seit kurzem einen schicken Digitalreceiver mein Eigen nenne, der die Anzahl der zu empfangenden Sender vervielfacht hat.
Da klopft es an der Verandatür. Es ist der Paketbote, schon häufig mein Retter in Sinnkrisen. Und er hat so einiges im Gepäck. Wenig ist befriedigender als das Öffnen von Büchersendungen, vor allem, wenn sich das Verpackungsmaterial wiederverwenden lässt. Ein neuer Verlag aus dem westfälischen Werne schickt mir ein stattliches Paperback mit dem schönen Titel Wege in die spontane Erfolglosigkeit. Da kann ich mitreden, befürchte allerdings, dass hier Ironie im Spiel ist, schließlich handelt es sich bei einem der beiden Autoren um den frischgebackenen Verleger persönlich.
Zu lesen gibt es allerhand Sinniges und Humoristisches aus der bunten Welt von heute. Sprachkritik zum Beispiel. Oder WG-Geschichten. Aber auch das Tagebuch eines Ausflugs nach Berlin, dessen Autor vor allem damit befasst zu sein scheint, Arbeitsproben bei Rundfunk-, Fernseh- und Zeitschriftenredaktionen abzuwerfen. Ohne großen Erfolg, versteht sich. Daher vielleicht der Titel.
Mich erheitert die Lektüre leider nur wenig, aber ich wünsche den Herren See und Huppert natürlich dennoch viel Glück mit ihrem Werk, da ich sicher bin, dass es Menschen gibt, denen es in schwierigen Zeiten Beistand zu leisten vermag. Man muss positiv denken.
In einer praktischen Versandtasche aus stabilem Karton lässt mir der bemerkenswerte Verbrecher-Verlag aus Berlin ein Berlin-Büchlein zukommen. Kleine Texte aus einer großen Stadt. Verfasst von dem aufmerksamen Dichter und Journalisten René Hamann und zwischen 2003 und 2008 unter anderem in der taz erschienen. Für alles ist aber auch dieser Mann nicht zu haben. Als er sich aufmacht, den Flecken Britz im berühmten Stadtteil Neukölln zu besuchen, freut er sich auf einen "urigen Altkern mit lieblichem Schloss", zieht aber enttäuscht von dannen, als ihm im Britzer Park "am frühen Nachmittag" Betrunkene entgegenwanken. Gefallen hat mir an diesem Erlebnisbericht vor allem das fast schon verschollen gewähnte Attribut "urig", mit dem man in meiner Jugendzeit vor allem Gaststätten charakterisierte, in denen ausgediente Kaffeemühlen und Zwiebackdosen zur Dekoration ausgestellt waren. Sehr schön auch der Satz "In der Kellerbar machte sich Wehmut breit" in einer anderen Geschichte. Wenn ich irgendwann einmal wieder zum Besuch bei einem meiner jungen Dichterfreunde in der Spreemetropole weile, wird mich Hamanns handliches Berlin-Brevier auf jeden Fall begleiten.
Nahe Berlin liegt das hübsche Städtchen Potsdam, dessen Einwohner sich durch natürlichen Charme und eine großzügige Hilfsbereitschaft auszeichnen. Der Potsdamer wie die Potsdamerin sind stets nach Kräften bemüht, den Ortsfremden seine Ortsfremdheit vergessen zu lassen. So erfuhr ich es vor vielen Jahren, als ich kurz nach dem Fall der Mauer einen Abstecher in diesen historisch so bedeutsamen Ort unternahm, und so wäre es sicher auch dem hessischen Schriftsteller Andreas Maier ergangen, hätte er sich bereitgefunden, das ihm angetragene Amt des Stadtpoeten wahrzunehmen. Allein, er mochte aus mancherlei Gründen nicht einmal zeitweise in Potsdam wohnen, was ihm von den Kulturverwaltern des Ortes lange übelgenommen wurde. Doch nun hat Maier einen ganzen Roman verfasst, dessen Handlung zum überwiegenden Teil von Einwohnern und Besuchern der sympathischen alten Garnisonsstadt bestritten wird. Leicht zu überschauen ist es nicht, was dort passiert, vor allem, weil es zum Teil unter der Erde stattfindet, in den weitläufigen Katakomben nämlich, die den Park von Sanssouci untertunneln. Doch wofür gibt es Erzähler, die uns Leser an die Hand nehmen und behutsam um all die Abgründe herumführen, die sich in ihren Geschichten auftun? Und in Maiers Sanssouci gibt es derer viele. Vergnüglich ist das Buch selbstredend, allein der Umstand, dass er eine seiner Figuren ein "herumliegendes Wurststückchen" verzehren lässt, zeigt die Freude des Autors am kulinarischen Detail. Maier ist ja, wie man einem Beitrag in der Zeitschrift Volltext entnehmen kann, selbst ein großer Freund der gebratenen Wurst. Auch mir knurrt jetzt der Magen, und die Übelkeit von vorhin scheint wie weggeblasen. Welch wunderbares Wirken literarischer Heilungskräfte. Ich eile zum Kühlschrank, hole eine Flasche Bier und ein Stück vollfetten holländischen Käse heraus und setze mich vor den Fernseher. Die Welt ist schön.

 

Magnus See / Christian Huppert: Wege in die spontane Erfolglosigkeit. 293 Seiten. Ventura. Werne 2009. € 14,90.

René Hamann: Das Alphabet der Stadt. 119 Seiten. Verbrecher. Berlin 2008. € 13,00.

Andreas Maier: Sanssouci. Roman. 299 Seiten. Suhrkamp. Frankfurt am Main 2009. € 19,80.