Ich wünschte, ich besäße eine 
                Unterhose wie Til Schweiger sie gerne trägt. Neidisch betrachte 
                ich die Anzeige in der ersten Ausgabe der deutschen Vanity 
                Fair, die ich für einen Euro im Supermarkt erstanden 
                habe. Allerdings wird sich, wenn diese Kolumne erscheint, vielleicht 
                kaum jemand mehr an den Versuch erinnern, einmal pro Woche viele 
                tausend Käufer für ein kiloschweres, stark bebildertes 
                Anzeigenblatt mit Textbeigabe zu gewinnen. 
                Doch das tröstet mich nicht über die Tatsache hinweg, 
                dass ich mit Slips im Fünferpack vorlieb nehmen muss, die 
                nach zwei Waschgängen ihre Passform verlieren. Dabei könnte 
                ich mir für den Preis des umfänglichen Buches, das seit 
                Wochen auf meinem Schreibtisch liegt, wahrscheinlich zwei Paar 
                der vom "deutschen Kirk Douglas", wie das Magazin der 
                Süddeutschen Zeitung den Schauspieler taufte, beworbenen 
                Unterhosen kaufen. Das Buch befand sich in einem Paket mit Neuerscheinungen, 
                das mir die Redaktion dieser Literaturzeitschrift bereits im letzten 
                November hat zukommen lassen. Es hat mich also nichts gekostet. 
                Dafür erwartet man von mir, dass ich etwas Kritisches darüber 
                schreibe. Das ist nun mal mein, manchem Germanistikstudenten erstrebenswert 
                scheinendes Los. Aber dass das Privileg, seine Bibliothek mit 
                kostenlosen Rezensionsexemplaren bestücken zu können, 
                praktisch mit schlecht sitzender Unterwäsche erkauft ist, 
                glaubt einem draußen niemand. 
                Jeden Tag nehme ich das dicke Buch und lese für eine halbe 
                Stunde darin. Ich komme nur sehr langsam voran. Der Grund wird 
                sein, dass der Autor keine Geschichte erzählt, sondern vor 
                allem über Sprache meditiert. Er kann ein Wort so lange betrachten, 
                bis es ganz fremd geworden ist. Manchmal vergleicht er ähnlich 
                klingende Wörter aus verschiedenen Sprachen, dann wiederum 
                geht es ihm um vermeintlich identische Bedeutungen unterschiedlicher 
                Wörter. Der Autor ist in mehreren Sprachen 
                zu Hause, wie man so sagt. Er übersetzt Lyriker wie 
                Michael Hamburger und Andrea Zanzotto ins Deutsche, ohne wirklich 
                an die Möglichkeit zu glauben, Gedichte von einer in eine 
                andere Sprache zu übertragen. So durchziehen Zweifel und 
                Faszination seinen Text. Denn immer wieder kann er erstaunt registrieren, 
                was Sprache alles vermag. Oder eben nicht. In einem solchen Kosmos 
                ist es auch gestattet, ein Kinderbuch von Christine Nöstlinger 
                und ein historisches Sachbuch vergleichend auf die in ihnen dargestellten 
                Welten zu untersuchen. 
                Das Buch wird mich noch lange beschäftigen, und es ist unwahrscheinlich, 
                dass ich es für zwei Wäschestücke hergeben würde. 
                Aber stimmt mich dieser Sieg des Geistes über die schnöde 
                Materie fröhlicher? Ich schalte den Computer aus und gehe 
                ein wenig in meiner teuer angemieteten Werkstatt umher. Gerne 
                würde ich jetzt in Bausparunterlagen blättern. 
                Ich könnte mir zum Beispiel ausrechnen, wie hoch in diesem 
                Jahr meine Wohnungsbauprämie ausfiele. Allein, ich besitze 
                keinen Bausparvertrag, da ich die Zahlung der monatlichen Prämien 
                nicht garantieren kann. Dass mich der Spott eines bekannten Literaturkritikers, 
                in den Schriften Wilhelm Genazinos finde 
                sich "Lebensphilosophie für Bausparer", gestern 
                dazu bewog, den neuen Roman des von mir seit vielen Jahren geschätzten 
                Autors zu kaufen, lässt allerdings auf ein latentes geistiges 
                Bausparertum schließen. Denn die Zeiten, da ich keinen Tag 
                zögerte, den jeweils neuesten Roman Genazinos zu erwerben, 
                sind vorbei, seitdem sich das Feuilleton seiner bemächtigt 
                hat. So sehr ich mich auch über seinen lang verdienten Erfolg 
                freue, ich sehne mich ein wenig nach den Zeiten zurück, da 
                man auch in literaturinteressierten Kreisen bei Nennung seines 
                Namens oft nur ein Achselzucken erntete. Heute rächt sich 
                meine verspätete Kaufentscheidung durch die ärgerliche 
                Tatsache, dass es mir nicht mehr gelang, ein Exemplar der ersten 
                Auflage von Mittelmäßiges Heimweh zu ergattern. 
                Dabei war das Buch erst seit wenigen Wochen auf dem Markt. Dass 
                mich dieser Umstand kränkte, ist ebenso peinlich wie das 
                Gefühl, der verspätete Ruhm Genazinos sei ein persönlicher 
                Verlust. Inzwischen ist mir klar: Es bedurfte des Appells an den 
                Bausparer in mir, um mich wieder zur Vernunft kommen zu lassen. 
                Lesen werde ich Mittelmäßiges Heimweh erst in 
                einigen Wochen. Ich kann mir Zeit lassen, denn es handelt sich 
                nicht um ein Rezensionsexemplar. Irgendetwas hat mich immer davon 
                abgehalten, kostenlos an Bücher von Wilhelm Genazino gelangen 
                zu wollen. 
                Inzwischen gibt es sogar eine germanistische 
                Doktorarbeit über Genazinos Werk, in der ich auf ein 
                interessantes Zitat aus seinem Roman Die Ausschweifung von 
                1981 stieß. Da ist nämlich von einem Tagesschausprecher 
                namens "Horst Köpke" die Rede. Mir fiel ein, dass 
                ich schon bei der damaligen Lektüre des Romans nicht sicher 
                war, ob hier absichtlich der Vorname einer der berühmtesten 
                Fernsehpersönlichkeiten der sechziger und siebziger Jahre 
                falsch wiedergegeben wird. Schließlich wird Robert Lembke 
                im selben Satz mit seinem richtigen Namen genannt. Warum also 
                wird Köpke seines "Karl-Heinz" beraubt? Handelt 
                es sich vielleicht schlicht um ein Versehen des Autors, das auch 
                dem Lektor seines damaligen Verlages Rowohlt nicht aufgefallen 
                ist? Und wird es vom Lektorat seines jetzigen Verlages Hanser 
                bemerkt werden? Das sind Fragen, die gut unbeantwortet bleiben 
                können. So schließt diese Kolumne einfach mit dem Originalzitat, 
                das mir wie auf meine momentane Situation gemünzt scheint, 
                obwohl die beiden Herren, von denen hier die Rede ist, schon lange 
                tot sind: "Dann hatte er plötzlich den überraschenden 
                Gedanken, dass er, Eckhard Fuchs, mindestens soviel Zeit hatte 
                wie Robert Lembke oder Horst Köpke. Natürlich! Er musste 
                sich nicht beeilen und er musste nichts erfinden." 
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