Am Erker 81

Hans Georg Bulla: Ein letztes Blau in die Augen gerieben

 
Rezensionen

Hans Georg Bulla: Ein letztes Blau in die Augen gerieben
 

Betrachtet, nicht gepredigt
Rolf Birkholz

Allein schon die offene Frage: "Warum reden die Gäste so laut, / wenn sie den Garten betreten" am Ende des Gedichts "An der Hecke" lässt ein bisschen aufschrecken. So besonders leise geht es in Hans Georg Bullas neuem Band zu. Ein letztes Blau in die Augen gerieben bietet außerdem Augen erfrischende Malerei auf Papier von Peter Marggraf.
Leise, doch nicht unbeteiligt: Diese poeti­sche Stimme predigt nicht, wie "Die Sonntagsfrage" zumindest erwägt ("Als ginge ich wie der Heilige durch / den Gar­ten und hätte eine Predigt / zu halten"). Sie betrachtet vor allem, schaut hin, hebt so hervor. Sie beschreibt "Wie Erinne­rung entsteht", "Die Geschichte der Kind­heit" in drei Bildern oder blickt einfach aufs "Erntefeld".
Einfach freilich sind die so evozierten Verhältnisse keineswegs. Es empfiehlt sich sehr, wie es Bulla selbst auch bei Lesungen hält, manche seiner stillen Zei­len gleich ein zweites Mal zu lesen, um sie sich ins rechte Licht zu rücken.
So fährt "eine weiß lackierte Straßen­bahn" auf einmal eben doch "wild sprü­hend in allen Farben" vorbei. Und wenn angesichts eines Doppeldeckers an die "Aeroplane" von einst erinnert wird, mag sich der Titel des Gedichts, "Himmel­fahrt", auf frühe Flugunternehmungen be­ziehen, entrückt aber zugleich den eben­falls erwähnten, gleichnamigen Feiertag sanft wie in vergangene Zeiten.
Wenn Jungs "am Bahndamm / den ver­steckten Satz Werkzeuge" fanden und damit spielten ("Gleisarbeiten"), dann macht der Dichter in Erinnerungsbildern verborgenes Material formend sichtbar.
Auch Birkenrinden, "jede trägt eine heim­liche Bibliothek", empfiehlt Hans Georg Bulla zur Lektüre. Hier, wo das Bild die Schrift und diese jenes ist, wäre zumal das reine Schauen gefragt. Da bieten sich zudem Peter Marggrafs vierzehn Malereien zum Thema "Die Stunden zwi­schen den Tagen" an. Sie lassen die Ti­tel-Farbe überraschend körperlich wir­ken.

 

Hans Georg Bulla: Ein letztes Blau in die Augen gerieben. Gedichte. Peter Marg­graf: Malerei auf Papier. 72 Seiten. San Marco Handpresse. Neustadt am Rübenberge 2021. € 25,00.