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Ulrich Peltzer

 
Rezensionen

Ulrich Peltzer: Bryant Park
 

Willkür statt Komposition
Gernot Wolz

"Was übrig bleibt, sind Geschichten, jemand, der sie erzählt, erst das, dann dieses und jenes, wie es einem in die Gedanken kommt." Dieser Gedankenfetzen des Erzählers nach dem Tode seines Vaters steht für die Poetologie Ulrich Peltzers. Es ist eine der Beliebigkeit, bei der eine naturalistisch genaue Beschreibung zum Selbstzweck geronnen ist.
In der phantasielosen Ködersprache des Verlages wird den potentiellen Käufern von Peltzers jüngstem Buch Bryant Park eine "atemberaubend klare Sprache" sowie eine "sinnlich nachvollziehbar(e) Wirklichkeit" angedienert. Wer sich indes zumutet, die 150 Seiten lange Erzählung in einem Zuge zu lesen, fühlt sich hinterher wie nach einem durchgezappten Abend vor der Glotze: bei Atem, aber leer. Keine Geschichte, nicht einmal auch nur irgendwie locker verbundene Episoden sind zu erinnern, und die aufgetretenen Personen bleiben in ihrer Konturenlosigkeit Schattenwesen.
Die angeblich klare Sprache erweist sich als minutiöse Beschreibung in unendlich langen, meist beiordnenden Perioden, oft unterbrochen durch eingeklammerte Einschübe, an Länge den ursprünglichen Satz zuweilen übertreffend. So verflüchtigt sich der Inhalt mancher Sätze, bevor sie zu Ende gelesen sind. Eine Standardszene reiht sich an die andere, ohne daß einem das Ganze vor Augen tritt; von typischen Genreszenen abgesehen, bleibt New York merkwürdig unsichtbar. Wie auf endlos langen Kamerafahrten schnappt der 1956 geborene Autor die sattsam bekannte Banalität des modernen Großstadtlebens auf. Er hat indes keinen Standpunkt, sondern läßt sich planktonartig in der Bilderflut treiben. Das ist nicht wie behauptet Avantgarde, sondern Trend.
In dieser unpersönlichen Welt ist selbst der erzählende Protagonist nahezu unfaßbar, meist versteckt hinter einem diffusen "man". Bei anderen Figuren zoomt er wortreich auf Barthaar und Augenbraue, doch bleiben auch sie als Personen unscharf, gewinnen kein Eigenleben.
Mit der Beliebigkeit der beschriebenen Bilder verschränkt sich die Handlung, die auf drei oder vier Ebenen - so genau ist das gar nicht festzustellen - ebenso beliebig wechselt. In dem Handlungsgerüst dominieren eine Filmvorführung im Bryant Park, wo der Erzähler John Hustons Filmklassiker Moby Dick sieht, seine Arbeit als Stipendiat über einer Familienchronologie in der "Public Library" und das Ende einer Liebesbeziehung. Diese New Yorker Gegenwart des Jahres 2000 wird immer wieder unterbrochen von Erinnerungen: zum einen an einen Drogendeal in Neapel mit viel zu viel Begleitpersonal und Begleitumständen, zum anderen an das Sterben des Vaters. Diese Rückblenden sind so wenig zwingend - sie können als "Folge von Nervenimpulsen" mitten im Satz erfolgen -, daß Peltzer gezwungen ist, sie durch Kursivsetzung als Schnitte, oder neudeutsch Links, kenntlich zu machen; aber selbst dieses Prinzip kann er dann nicht restlos durchhalten, wenn zuletzt Drogengeschichte und die Sterbeszene hintereinander erinnert werden.
Dem Buch fehlt die Intensität, aus dem Bilder- und Erinnerungskosmos ein Beziehungsgeflecht zu gestalten, das den Leser erfaßt oder gar erschüttert. Wenn schon keine wahrnehmbare Fabel mehr erzählt werden kann oder soll, dann müßte die Konzentration auf das "Material", wie etwa in Eichs bekanntem Gedicht "Inventur", die erzählerische Funktion erfüllen, indem die Dinge für eine Kollektivgeschichte stehen.
Auf den letzten dreißig Seiten der Erzählung erfolgt die Zäsur durch den Terroranschlag des 11. September, den allerdings der Autor, während er gerade an diesem Buch schreibt, von Berlin aus erlebt. Aus dem erzählenden "man" bzw. fiktiven Stefan, ist nun ein realer Ulrich geworden. Er versucht mit seinen Freundinnen in New York zu telefonieren. Es wiederholt sich die Sprachlosigkeit, die wir schon am Fernsehen erlebten, ergänzt durch typische E-Mail-Botschaften, nachdem das Telefonnetz zusammengebrochen ist: "wie du siehst leben wir. wahnsinn. wir stehen beide noch unter schock. ...haben die ...towers einstürzen sehen." Und die Rückmail aus Berlin: "ich hoffe also, es ist alles ok mit euch, und ihr habt nichts abgekriegt."
Es findet sich keine Reflexionsebene, und trotz mehrerer Erzählstränge auch keine Multiperspektivität. Weder setzt sich Peltzer, wie beispielsweise Rolf Dieter Brinkmann in Rom, Blicke, lebendig mit der Stadtlandschaft auseinander, noch spielen die Hintergründe der Terrorattacke irgendeine Rolle.
Man sollte nicht wie etliche Rezensenten überregionaler Blätter hinter jeder Unbeholfenheit gleich künstlerische Absicht vermuten. Denken wir etwa an das Kino Antonionis, dann müßte einleuchten, daß auch avantgardistische Kunst der zwingenden Strenge der Komposition bedarf, um Handlung und Gegenstände in unser Bewußtsein zu senken und aufklärerisch zu wirken. Warum dem willkürlichen Assoziationsreigen eines Erzählers folgen, wenn dessen Innenwelt verschlossen bleibt? Bei Peltzer ist der Leser nie mit einbezogen, und so erfährt er die Textur als eine Landschaft, in der er sich verläuft.
Ungeachtet des Medieninteresses bei Erscheinen - so schnell wie geschrieben wird dieses Buch vergessen sein.

 

Ulrich Peltzer: Bryant Park. Erzählung. 158 Seiten. Ammann. Zürich 2002. € 19,90.