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Zsolnay
Richard Stark
pulp master
Gary Disher
Liebeskind
Edward Bunker

 
Mord & Totschlag 57
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Irgendwann sollte das Buch mal fünf Mark kosten, dann nur noch zwei. Gekauft habe ich den Sammelband mit drei Romanen Richard Starks und den verräterischen, mit Bleistift auf die Innenseite des Einbands gekritzelten Preisangaben für 9,80 Euro bei einem Internet-Antiquar. Und ich fühle mich auch nicht übers Ohr gehauen. Schließlich hat Parker, der eiskalte Berufsverbrecher, dem der kürzlich verstorbene Donald E. Westlake unter einem seiner zahlreichen Pseudonyme in gut zwei Dutzend Romanen ein Denkmal gesetzt hat, im Moment Hochkonjunktur. Seit der Zsolnay-Verlag im vergangenen Jahr mit dem Parker-Abenteuer Fragen Sie den Papagei einen Überraschungserfolg bei Kritik und Publikum landen konnte, ist die Nachfrage nach harten, lakonisch erzählten Gangsterstorys offenbar stark gestiegen. Da werden für ein Ullstein-Taschenbuch aus den frühen Siebzigern locker acht bis zehn Euro verlangt.
Mehr als zwanzig Jahre lang hatte Westlake nicht mehr als Richard Stark geschrieben, bevor er Parker 1997 ein Comeback - so auch der Titel des entsprechenden Romans - gönnte. Den Zeitunterschied merkt man kaum. "Als die Frau schrie, wachte Parker auf und ließ sich aus dem Bett fallen", lautet der erste Satz in Die Gorillas (The Outfit, 1963). Keiner rennt für immer, 2004 im Original erschienen, beginnt ebenso unvermittelt: "Als er sah, dass der Mann, der Harbin hieß, verdrahtet war, sagte Parker: ‚Gib mir schon mal Karten' und stand auf." Harbin hat in diesem Moment nur noch wenige Sekunden zu leben, denn Parker geht kein Risiko ein. Und er kennt keine Skrupel. So wie ein Bäcker Teiglinge in den Ofen schiebt und ein Anstreicher Farbe an die Wand bringt, bricht Parker das Gesetz, um an Geld zu kommen. Ob Einbruch oder Raubüberfall, er arbeitet professionell und zielgerichtet. Doch nicht immer läuft alles nach Plan. Mal ist auf seine Komplizen kein Verlass, mal taucht Konkurrenz auf, mal ist ihm die Polizei auf den Fersen. Aus diesen Komplikationen beziehen Richard Starks Romane ihren Reiz. Denn man entwickelt ein gewisses Vergnügen daran zu beobachten, wie Parker mit Problemen umgeht, und fühlt sich merkwürdigerweise gar nicht unmoralisch dabei. Was daran liegen mag, dass Stark seinen Anti-Helden mit Figuren umgibt, deren menschliche Schwächen sie nicht unbedingt sympathisch wirken lassen. Das Perfide an dieser Erzählstrategie ist, dass sie funktioniert.
Diesen Dreh beherrscht auch der australische Kriminalschriftsteller Garry Disher perfekt. Sein Serienheld Wyatt - wie bei Parker ist kein Vorname nötig - findet sein Auskommen ebenfalls, indem er gewöhnlich gut geplante Verbrechen ausführt. Doch anders als sein amerikanischer Kollege ist Wyatt ab und an gefährdet, sich Emotionen hinzugeben. Zudem ist er zwar ein Einzelgänger, aber nicht vollkommen bindungslos. Und dieser Umstand wird ihm in Niederschlag, dem vorerst letzten Band der Reihe, beinahe zum Verhängnis, trifft er doch auf seinen Neffen, der sich im selben Gewerbe bewegt, aber längst nicht so kühl wie sein Onkel agiert. Garry Disher hat einen ausgefuchsten mehrschichtigen Plot erdacht, in dem es vordergründig um Kunstraub, versunkene Schätze und den Racheplan eines früheren Komplizen Wyatts geht. Und wie man es von Spannungsliteratur dieses Kalibers erwartet, werden die unterschiedlichen Handlungsstränge bis zum blutigen Finale auf elegante Weise miteinander verknüpft. Auf einer anderen Ebene allerdings geht es auch darum, ob es so etwas wie einen Ruhestand für Berufsverbrecher gibt, eine Frage, die einem Kerl wie Parker so nicht zugemutet wird. Und Reflexionen wie diese erst recht nicht: "Wyatt dachte an das missliche Durcheinander in seinem Leben, dachte aber auch an die Liebe, die es nie gegeben hatte." Dieser leicht sentimentale Zug ist vielleicht dafür verantwortlich, dass uns eine Figur wie Wyatt auch nach der Lektüre länger beschäftigt als der unterkühlte Parker, der keinen Gedanken an die Vergangenheit verschwenden würde. Darüber, was er als Nächstes tun wird, entscheidet die Situation.
Große Pläne hingegen hat der Junkie und Kleingangster Ernie Stark. Zwar steckt er gerade in der Klemme, weil ihn ein hartnäckiger Polizist zu Spitzeldiensten nötigt, doch eigentlich möchte er hoch hinaus. Also versucht er, alle reinzulegen, seinen Dealerfreund Momo ebenso wie Detective Lieutenant Crowley, der wissen will, wer tatsächlich die Fäden des Drogengeschäfts in der Hand hält. Lockruf der Nacht ist ein wüster Reißer, den die spätere hard-boiled-Legende Edward Bunker bereits Anfang der sechziger Jahre während eines seiner zahlreichen Knastaufenthalte geschrieben hat. Nach Bunkers Tod 2005 wurde das Manuskript in seinem Nachlass gefunden. Grell, pathetisch und effektvoll wird die Story um Drogen und Sex in Szene gesetzt. Von einem lakonisch-eleganten Stil, wie er Richard Stark und Garry Disher auszeichnet, ist der junge Edward Bunker recht weit entfernt. Pointierte Dialoge sind seine Sache nicht, und auch sein Repertoire an sprachlichen Bildern scheint beschränkt: "Stark wachte auf und war wie ein Raubtier schlagartig wach." Doch gerade diese spürbare Abwesenheit von routinierter Kreativität macht Lockruf der Nacht zu einer reizvollen Lektüre. Und es ist nicht Bunkers geringstes Verdienst, dass er gar nicht erst versucht, seine Hauptfigur zum coolen Sympathieträger zu stilisieren.

 

Richard Stark: Keiner rennt für immer. Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. 287 Seiten. Zsolnay. Wien 2009. € 16,90.

Garry Disher: Niederschlag. Ein Wyatt-Roman. Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller. 262 Seiten. pulp master. Berlin 2008. € 12,80.

Edward Bunker: Lockruf der Nacht. Roman. Aus dem Englischen von Jürgen Bürger. 220 Seiten. Liebeskind. München 2009. € 16,00.