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Ammann
Hansjörg Schneider
Unionsverlag
Celil Oker
Grafit
Andreas Hoppert
Poetenladen
Christine Geldmacher

 
Mord & Totschlag 55
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Manchmal verliert Peter Hunkeler, "Kommissär des Kriminalkommissariats Basel, ehemaliger Familienvater, jetzt geschieden", die Selbstkontrolle. Dann schreit er junge Menschen an, die sich störrisch seinen Fragen verweigern, oder lässt sich auf ein Wettrennen mit einem arroganten Kabriofahrer ein. Später bereut er gewöhnlich sein Verhalten, denn eigentlich ist Hunkeler ein eher nachdenklicher Typ. Deshalb will ihm auch nicht einleuchten, dass der homosexuelle Kunsthändler Roger Ris ausgerechnet von seinem jugendlichen Geliebten ermordet worden sein soll. Zumal Ris just im Solebad jenes Hotels umgebracht wurde, in dem sich Hunkeler einquartiert hat, um etwas gegen sein Rückenleiden zu unternehmen. Hätte er während des Aufenthalts im warmen Salzwasser nicht gerade darüber nachgedacht, dass er sein Leben ändern müsse, wäre er vielleicht sogar Zeuge der Tat geworden.
Hunkeler beginnt, obwohl beurlaubt, zu ermitteln und glaubt bald, einem Zusammenhang zwischen dem Mord und einer Serie von Kunstdiebstählen in der Umgebung auf der Spur zu sein. Doch so einfach ist die Sache nicht. Oder so kompliziert. Es bleibt nämlich nicht bei einem Fall, und es gibt dementsprechend auch nicht nur eine Lösung. Dass Hansjörg Schneiders Romane um den eigenwilligen Kriminalbeamten aus Basel zum Besten gehören, was die deutschsprachige Kriminalliteratur zu bieten hat, liegt allerdings weniger an ihren Plots als an der Erzählkunst ihres Verfassers. Der versteht es nämlich, mit knappen Sätzen große Wirkung zu erzeugen, und kommt damit dem Charakter seines Helden sehr nah. "Er wusste, dass er Geduld haben und warten musste, auf das, was geschah", heißt es an einer Stelle. Viel mehr erfährt auch der Leser nicht. Und er lässt es sich gerne gefallen. Denn es ist durchaus angenehm, mit Hunkeler im Dunkeln zu tappen. Dabei braucht es nicht einmal viel Geduld, weil das, was bei anderen Ermittlern auf die Dauer enervierend ist, nämlich an ihrem Privatleben teilzuhaben, hier ein ganz selbstverständliches Interesse erfüllt. Dann spielt man mit dem Gedanken, wie sich ein Roman um den alternden Kriminalisten lesen würde, in dem es gar kein Verbrechen aufzuklären gäbe und unser Vergnügen ganz allein Sätzen wie diesem gelten würde: "Er beschloss zu gehen, bis er an ein Ziel kam, das er nicht kannte."
Auch Remzi Ünal, Privatdetektiv in Istanbul, weiß nicht so recht, wohin. Aber anders als Hunkeler scheut er, abgesehen von regelmäßigem Kampfsporttraining, die Bewegung. Zu Beginn von Celil Okers neuem Roman Dunkle Geschäfte am Bosporus treffen wir ihn vor dem Fernseher an, in der Hand die Fernbedienung, um sich durch die Programme zu zappen. Wer ihn engagieren will, braucht ein gutes Druckmittel, und genau das besitzt Muazzez Güler, Inhaberin einer Computerfirma und Gattin eines einflussreichen Politikers. Es geht darum, einem säumigen Kunden Beine zu machen. Dummerweise ist Ünals Auftraggeberin schon bald tot, und der antriebsschwache Schnüffler sieht sich in ein kompliziertes Beziehungsgeflecht verwickelt, aus dem er, trotz Aikido, nur mit starken Blessuren wieder herauskommt. Wie seit Hammett und Chandler in diesem Genre Tradition, ist die Handlung eher unübersichtlich, aber dafür reich an Standardsituationen, die nicht immer elegant, aber mit einer gehörigen Portion Selbstironie bewältigt werden. Auch sprachlich ist der Roman ein Vergnügen, nicht zuletzt ein Verdienst des Übersetzers Nevfel Cumart.
Mit Tricks und doppeltem Boden arbeitet der Detmolder Richter Andreas Hoppert in seinen Kriminalromanen um den verkrachten Juristen Marc Hagen. In Menschenraub geht es zum einen um die Entführung der 16-jährigen Adoptivtochter eines schwerreichen Unternehmers und zum anderen um eine Leiche, die offenbar seit Jahrzehnten auf dem Dachboden eines Hauses versteckt war. Was über weite Strecken wie ein durchaus spannender, aber stilistisch wenig bemerkenswerter Krimi daherkommt, entpuppt sich zum Ende als ein perfides Spiel mit der Erwartungshaltung des Lesers. Es empfiehlt sich, gewisse Ungereimtheiten in der Handlungsführung ernst zu nehmen, sie haben ihren Sinn. Andreas Hoppert ist ein Autor, der genau weiß, was er tut. So, und mehr wird an dieser Stelle nicht verraten.
Kurzweilig geht es zu in den Kriminalgeschichten, die die Autorin Christiane Geldmacher in ihrer Anthologie Hell's Bells versammelt hat. Das Buch beginnt eindrucksvoll mit der beklemmenden Studie Der Wald reicht bis ans Haus von Sebastian Spengler, setzt sich mit einer schweißtreibenden Momentaufnahme von Norbert Horst fort, um dann eine Kostprobe des schwarzen Humors zu servieren, mit dem mein Lieblingskrimikritiker Dieter Paul Rudolph offenbar reichlich gesegnet ist. Und so geht es munter weiter bis zu dem abschließenden Beitrag der Herausgeberin, die mit Ach, Du bist das! einen beinahe klassisch zu nennenden Kurzkrimi mit gut gesetzter Pointe beigesteuert hat.
Eine bunte Mischung also, in die sich, was bei Büchern dieser Art kaum zu vermeiden ist, auch die eine oder andere für meinen Geschmack eher fade Story geschmuggelt hat, ohne dass der positive Gesamteindruck darunter leiden würde.

 

Hansjörg Schneider: Hunkeler und die goldene Hand. Roman. 251 Seiten. Ammann. Zürich 2008. € 18,90.

Celil Oker: Dunkle Geschäfte am Bosporus. Ein Fall für Remzi Ünal. Roman. Aus dem Türkischen von Nevfel Cumart. 255 Seiten. Unionsverlag. Zürich 2008. € 9,90.

Andreas Hoppert: Menschenraub. Kriminalroman. 253 Seiten. Grafit. Dortmund 2007. € 9,50.

Christine Geldmacher (Hrsg.): Hell’s Bells. Kriminalgeschichten. 175 Seiten. Poetenladen. Leipzig 2008. € 13,00.