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Argon
Björn Hellberg
Kunstmann
Anne Chaplet
Frankfurter Verlagsanstalt
Bodo Kirchhoff
Reginald Hill

 
Mord & Totschlag 44
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Der humoristische Schriftsteller Wiglaf Droste hat sich einmal die Mühe gemacht, alle Passagen in einem von Henning Mankells Wallander-Romanen zusammenzustellen, in denen der zuckerkranke Kommissar zu belegten Broten greift. Die chronische Melancholie des beliebten Ermittlers scheint also nicht nur von den grausigen Mordfällen herzurühren, mit denen er befaßt ist, sondern auch von seinen Ernährungsgewohnheiten. Sein Kollege Sten Wall nämlich, ein sympathischer Vielfraß, ist ein beängstigend gut gelaunter Zeitgenosse. Doch das Debüt des übergewichtigen Kriminalisten auf dem deutschen Krimimarkt fällt, auch wenn sich in Björn Hellbergs Roman Ehrenmord die Küche Skandinaviens von ihrer besten Seite zeigt, eher dürftig aus. Während seines Sommerurlaubs auf Bornholm wird Wall von einem verwirrten Menschen mit Mordabsichten verfolgt. Daß dieser Psychopath hier nicht seinen ersten Mord plant, macht das biedere Erzählstück nicht spannender. Hellbergs Plotidee hätte sich nämlich schon auf 50 Seiten erschöpft, würden wir nicht mit jeder Menge uninteressanter Schilderungen aus dem Alltag schwedischer Polizeibeamter behelligt. Da beobachtet man tatsächlich lieber den mürrischen Wallander beim Verzehren seiner Butterbrote. Und das will etwas heißen.
Glücklicherweise gibt es Alternativen zum überhand nehmenden Schwedenkrimi, und dies sogar im heimischen Angebot. Mit Erscheinen ihres vierten Romans Die Fotografin hat Anne Chaplet ihr Pseudonym gelüftet und damit für ein bißchen Wirbel gesorgt. Der Frankfurter Publizistin Cora Stephan also ist es in den letzten Jahren gelungen, das Niveau der deutschen Kriminalliteratur quasi im Alleingang um einige Zentimeter anzuheben. Unangestrengt und, nach einigen Startschwächen, erzählerisch auf beachtenswertem Niveau bettet Chaplet ihre Fälle in die Zeitgeschichte ein. So widmet sich Die Fotografin den schmerzhaften Folgen des bundesrepublikanischen Terrorismus der siebziger Jahre und nimmt dabei recht eindeutig Bezug auf die Affäre um den in Frankreich untergetauchten früheren Terroristen Hans-Joachim Klein. Etwaige Vermutungen allerdings, es handle sich um einen "Schlüsselroman", weist die Autorin in ihrem Nachwort energisch zurück und befindet sich damit in bester realistischer Tradition. Im Zweifelsfalle würde ihr diese Beteuerung aber auch nichts nützen.
Wie man nämlich seit dem Frühjahr weiß, kann es manchmal ganz schön turbulent zugehen, wenn sich Personen der Zeitgeschichte in einem Roman wiederzuerkennen meinen. Interessanterweise hat die Auseinandersetzung um den letzten Roman von Martin Walser auch einem zweiten Buch eine beachtliche Auflagensteigerung beschert, und zwar Bodo Kirchhoffs Schundroman. Angeregt durch Charles Willefords Klassiker Miami Blues, in dem der "wohlgemute Psychopath" Frederic Frenger "zufällig" einen Hare-Krishna-Jünger ins ewige Nirwana befördert, läßt Kirchhoff den Starkritiker Louis Freytag zum Zufallsopfer eines Berufskillers werden. Daß man den Täter unter jenen Autoren sucht, die von Freytag nicht besonders feinfühlig behandelt wurden, ergibt sich von selbst. Nun ist der Schundroman aber weniger eine Satire auf den Literaturbetrieb als der Versuch eines "seriösen" Autors, einmal so richtig schrille Prosa zu schreiben. Allerdings ohne auf Netz und doppelten Boden zu verzichten, wie die programmatische Titelwahl zeigt. Außerdem hat Kirchhoff es versäumt, sich von Willeford auch stilistisch inspirieren zu lassen, so daß hier der erste "Schundroman" vorliegt, der mit achtzeiligen Satzgefügen aufwarten kann.
Während also Produzenten "ernsthafter" Literatur der Sehnsucht nach dem Trivialen erliegen, treibt es so manchen Autor von Kriminalromanen zu Höherem. Ein bemerkenswertes Beispiel ist der englische Schriftsteller Reginald Hill, der bereits 1970 mit seinem ersten Roman um die Yorkshire-Kriminalisten Dalziel und Pascoe debütierte. Hatte man es damals noch mit relativ simpel gestrickten, aber nichtsdestotrotz clever erzählten Whodunnits zu tun, so handelt es sich bei Hills Romanen der letzten Jahre um komplexe literarische Gebilde, die vor allem durch ihren erzähltechnischen Aufwand beeindrucken. Da bekommt man, wie in Arms and the Women (2000, dt. Das Haus an der Klippe), schon mal über Seiten hinweg Kostproben des schriftstellerischen Könnens von Pascoes Ehefrau Ellie präsentiert, und es wundert nicht, daß im vorletzten Dalziel- und Pascoe-Roman Dialogues with the Dead, der gerade unter dem Titel Die rätselhaften Worte auf Deutsch erschienen ist, ein wortverliebter Serienmörder sein Unwesen treibt. Wer übrigens dieses Buch am Ende ein wenig unbefriedigt aus der Hand legen sollte, sei beruhigt. Es findet in dem vor einigen Monate in Großbritannien erschienenen Death's Jest Book seine Fortsetzung, auch in dem Sinne, daß es weiterhin schwer literarisch zugeht. Der Rezensent hofft allerdings, daß nicht irgendwann die Bewunderung für Reginald Hills Sprach- und Erzählkunststückchen das Vergnügen an seinen Romanen überwiegen wird.

 

Björn Hellberg: Ehrenmord. Roman. Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt. 289 Seiten. Argon. Berlin 2002. € 18,00.

Anne Chaplet: Die Fotografin. Roman. 320 Seiten. Antje Kunstmann. München 2002. € 21,90.

Bodo Kirchhoff: Schundroman. 316 Seiten. Frankfurter Verlagsanstalt. Frankfurt am Main 2002. € 19,80.

Reginald Hill: Die rätselhaften Worte. Roman. Aus dem Englischen von Sonja Schuhmacher und Thomas Wollermann. 576 Seiten. Europaverlag. Hamburg 2002. € 24,90.