Es ist schon bitter: Manche Konkurrenzblätter
des Erker finden hier an dieser Stelle einen ihrer ganz wenigen
Besprechungsorte - und werden verrissen. Sofort kündigen
sie hasserfüllt ihre Austausch-Abos. Auf dem Anrufbeantworter
der Erker-Redaktion entlädt sich dann aller Frust. Das Band
wird von einer kein Wort Deutsch sprechenden Reinigungskraft abgehört.
Zumindest der Exot aus Bonn verlängert
bestimmt sein Abo. Anfangs rekrutierte sich das Heft aus dem Poetry-Slammer-Umkreis
des Hanebüchleins. Slamtexte wirken gut vor grölwilligem
Publikum, aber seltener auf Papier und erst recht nicht aus der
Distanz. Die Zeitschrift wollte und will zuständig sein "für
komische Literatur", doch leider fand sich in der ersten
Nummer eher Schmunzelhumoriges - ausgenommen Katinka Buddenkottes
Betrachtungen einer öden Slacker-Party. Komisch war darüber
hinaus der erste Satz des Editorials: "Wenn es nach uns ginge,
sähen Zeitschriften aus wie indische Lkw." Bei den Klapperkisten
aus Kalkutta wundert frau sich ebenfalls, wie sie es schaffen,
überhaupt zu fahren, dabei Berge von Geraffel mitzuschleppen
und trotzdem nicht umzukippen. Es konnte also was werden mit dem
Exot. Prompt stand in der Nummer 2 ein superduper Text von Kirsten
Fuchs, der alles rausriss. Die aktuelle Nummer 3 bringt ein pubertäres
Fiktiv-Interview mit einem dementen Günter Grass (noch vor
dem SS-Outing), aber dafür geraten viel mehr dieser Slam-Texte
nun in die Tiefen eines literarischen Fahrwassers. Die Story über
den pensionierten "Diktator Nils Heinrich", das ist
komisch. Mehr davon. Mach eine Kolumne draus, Diktator! Fährst
du mit der Seniorenkarte durch dein Reich, knien noch alte Schaffner
vor dir nieder?
Ein Anruf kommt sicher vom Maskenball.
Das Heft aus einer kleinen Stadt bei Frankfurt ("Bruchköbel.
Da will ich leben!", ruft die Website der selbstbewussten
Gemeinde) gibt es seit sieben Jahren. Diese DIN-A-5-Zeitschrift
für künstlerisch Herausgeforderte schneit vergleichsweise
unglaublich oft herein, nämlich monatlich, und versammelt
viele-viele Andersbegabte um sich. Wenige Zeilen aus dem Editorial
mögen für sich sprechen (alle fünf Fehler innerhalb
dieses Ausschnittes wurden stillschweigend korrigiert): "Wenn
ich mir so unsere Autoren und Künstler und deren Einsendungen
an uns betrachte, denke ich mir immer: Mann, die müssten
doch alle weltberühmt sein und zig ihrer Titel und Werke
verkaufen.' Doch sieht die Realität leider meist anders aus.
Deswegen kann ich immer wieder nur meinen Aufruf wiederholen:
Leute, konsumiert Kunst! Es wird so viel unnützes Zeug und
Müll auf dieser Welt produziert, angeboten und sogar gekauft,
vergesst den Kram: konsumiert Kunst!!" Jo. Die Erker-Hotline:
0251-799580.
Sympathisch versponnene Magazine gibt es ja auch noch zum Glück,
z. B. den Lichtwolf aus Freiburg, DIN-A-4
im extrem nostalgischen 1981er-Copyshop-Tonerstaub-Look. Frau
stelle sich vor: Einsendungen per E-Mail werden in Freiburg ausgedruckt,
dort (oder in chinesischen Straflagern) auf mechanischen Schreibmaschinen
abgetippt und zurück im Schwabenländle in Grundschulklassen
ausgeschnibbelt. Dann kümmert sich der zehnjährige Cousin
des Chefredakteurs um Fotos und Zeichnungen. Inhaltlich besteht
dieses Unplugged-Produkt wesentlich aus Leitartikeln gegen globalisierten
Turbokapitalismus und andere kryptische Bösigkeiten, außerdem
wird die Freiburger Legende Martin Heidegger hassliebend ans Herz
gedrückt. Darf frau den Lichtwolf noch "retro"
nennen oder sollte es nicht besser "regressivo" heißen?
Obwohl es sich beim Lichtwolf vermutlich um maximal drei befreundete
Freiburger Philosophiestudenten handelt, die sich unter diversen
Pseudonymen (Schneidegger'!) im Heft tummeln, ist dieses
Unternehmen ganz sicher die großartigste Schülerzeitung
der Republik. Aber das wirklich Bekloppte: Die dazugehörige
Website funktioniert auf PHP-Basis, also mitnichten retro, nur
das Design bleibt grausam. Tipp für die Zukunft: Die Jungs
sollten ihre Artikel mit spitzen Feuersteinen spiegelverkehrt
in eine handgeglättete Lehmfläche ritzen, Indigoblau
drübergießen, handgepressten Papyrus aufdrücken
und mit bloßen Fußsohlen feste eintrampeln - das wäre
endlich voll total authentisch.
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- Nr. 1-3, Bonn, Herbst 2005 bis
Sommer 2006, je € 5,-
- . Zeitschrift für
Kunst, Kultur, Literatur und spirituell [sic] beat. Nr. 65 (2006),
58 Seiten, € 4,-
- . Zeitschrift trotz Philosophie.
Nr. 19 (2006), 40 Seiten, € 2,-
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