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Lichtwolf

 
Zeitschriftenschau 52
Anne Smirescu
 

Es ist schon bitter: Manche Konkurrenzblätter des Erker finden hier an dieser Stelle einen ihrer ganz wenigen Besprechungsorte - und werden verrissen. Sofort kündigen sie hasserfüllt ihre Austausch-Abos. Auf dem Anrufbeantworter der Erker-Redaktion entlädt sich dann aller Frust. Das Band wird von einer kein Wort Deutsch sprechenden Reinigungskraft abgehört.
Zumindest der Exot aus Bonn verlängert bestimmt sein Abo. Anfangs rekrutierte sich das Heft aus dem Poetry-Slammer-Umkreis des Hanebüchleins. Slamtexte wirken gut vor grölwilligem Publikum, aber seltener auf Papier und erst recht nicht aus der Distanz. Die Zeitschrift wollte und will zuständig sein "für komische Literatur", doch leider fand sich in der ersten Nummer eher Schmunzelhumoriges - ausgenommen Katinka Buddenkottes Betrachtungen einer öden Slacker-Party. Komisch war darüber hinaus der erste Satz des Editorials: "Wenn es nach uns ginge, sähen Zeitschriften aus wie indische Lkw." Bei den Klapperkisten aus Kalkutta wundert frau sich ebenfalls, wie sie es schaffen, überhaupt zu fahren, dabei Berge von Geraffel mitzuschleppen und trotzdem nicht umzukippen. Es konnte also was werden mit dem Exot. Prompt stand in der Nummer 2 ein superduper Text von Kirsten Fuchs, der alles rausriss. Die aktuelle Nummer 3 bringt ein pubertäres Fiktiv-Interview mit einem dementen Günter Grass (noch vor dem SS-Outing), aber dafür geraten viel mehr dieser Slam-Texte nun in die Tiefen eines literarischen Fahrwassers. Die Story über den pensionierten "Diktator Nils Heinrich", das ist komisch. Mehr davon. Mach eine Kolumne draus, Diktator! Fährst du mit der Seniorenkarte durch dein Reich, knien noch alte Schaffner vor dir nieder?

Ein Anruf kommt sicher vom Maskenball. Das Heft aus einer kleinen Stadt bei Frankfurt ("Bruchköbel. Da will ich leben!", ruft die Website der selbstbewussten Gemeinde) gibt es seit sieben Jahren. Diese DIN-A-5-Zeitschrift für künstlerisch Herausgeforderte schneit vergleichsweise unglaublich oft herein, nämlich monatlich, und versammelt viele-viele Andersbegabte um sich. Wenige Zeilen aus dem Editorial mögen für sich sprechen (alle fünf Fehler innerhalb dieses Ausschnittes wurden stillschweigend korrigiert): "Wenn ich mir so unsere Autoren und Künstler und deren Einsendungen an uns betrachte, denke ich mir immer: ‚Mann, die müssten doch alle weltberühmt sein und zig ihrer Titel und Werke verkaufen.' Doch sieht die Realität leider meist anders aus. Deswegen kann ich immer wieder nur meinen Aufruf wiederholen: Leute, konsumiert Kunst! Es wird so viel unnützes Zeug und Müll auf dieser Welt produziert, angeboten und sogar gekauft, vergesst den Kram: konsumiert Kunst!!" Jo. Die Erker-Hotline: 0251-799580.

Sympathisch versponnene Magazine gibt es ja auch noch zum Glück, z. B. den Lichtwolf aus Freiburg, DIN-A-4 im extrem nostalgischen 1981er-Copyshop-Tonerstaub-Look. Frau stelle sich vor: Einsendungen per E-Mail werden in Freiburg ausgedruckt, dort (oder in chinesischen Straflagern) auf mechanischen Schreibmaschinen abgetippt und zurück im Schwabenländle in Grundschulklassen ausgeschnibbelt. Dann kümmert sich der zehnjährige Cousin des Chefredakteurs um Fotos und Zeichnungen. Inhaltlich besteht dieses Unplugged-Produkt wesentlich aus Leitartikeln gegen globalisierten Turbokapitalismus und andere kryptische Bösigkeiten, außerdem wird die Freiburger Legende Martin Heidegger hassliebend ans Herz gedrückt. Darf frau den Lichtwolf noch "retro" nennen oder sollte es nicht besser "regressivo" heißen? Obwohl es sich beim Lichtwolf vermutlich um maximal drei befreundete Freiburger Philosophiestudenten handelt, die sich unter diversen Pseudonymen (‚Schneidegger'!) im Heft tummeln, ist dieses Unternehmen ganz sicher die großartigste Schülerzeitung der Republik. Aber das wirklich Bekloppte: Die dazugehörige Website funktioniert auf PHP-Basis, also mitnichten retro, nur das Design bleibt grausam. Tipp für die Zukunft: Die Jungs sollten ihre Artikel mit spitzen Feuersteinen spiegelverkehrt in eine handgeglättete Lehmfläche ritzen, Indigoblau drübergießen, handgepressten Papyrus aufdrücken und mit bloßen Fußsohlen feste eintrampeln - das wäre endlich voll total authentisch.

 
  • Exot Nr. 1-3, Bonn, Herbst 2005 bis Sommer 2006, je € 5,-
  • Maskenball. Zeitschrift für Kunst, Kultur, Literatur und spirituell [sic] beat. Nr. 65 (2006), 58 Seiten, € 4,-
  • Lichtwolf. Zeitschrift trotz Philosophie. Nr. 19 (2006), 40 Seiten, € 2,-