Texte
Am Erker 31, Münster, Juli 1996
 

Andreas Reikowski
Bergung des Schwiegervaters

Die Wahl war auf mich gefallen. Ich sollte meinen Schwiegervater, den wir immer Veddi nannten, da rausholen. Der Beerdigungsunternehmer, den ich anrief, hörte sich sehr hilfsbereit mein etwas delikates Anliegen an, bedauerte aber, momentan von Personalproblemen geplagt zu sein; hohe Krankenstände, wissen Sie, bei dem Wetter, da soll man gesund bei bleiben, nicht wahr?
"Und würde es Ihnen etwas ausmachen, dabei kurz mit anzupacken, nur eben in den Sarg, Sie sind doch der Sohn?"
"Nein, nur der Schwiegersohn", sagte ich. "Meinen eigenen Vater kenne ich nicht. Er - Aber was geht Sie das eigentlich an?"
Ich stand vor der verschlossenen Tür der Anatomischen Fakultät der Universitätsklinik, die in einem großen Park nahe der Innenstadt angelegt war. Es war ein heller Zweckbau mit freundlich großem Eingangsbereich, jedoch mit schlitzartigen, lauernden Fenstern. Ungeduldig trat ich von einem Fuß auf den anderen. Der Bestatter wollte längst da gewesen sein. Ich rüttelte schon wieder am Türknauf, mir war kalt, seit Tagen hatten wir Nebel. Das ideale Wetterchen zum Sterben, wie Veddi vor kurzem noch gefunden hatte. Da ging es ihm schon schlecht - oder war es sein Galgenhumor? Über die Straße war er gegangen und umgefallen: weg.
Auf dem Rasen gegenüber hatte eine Amsel gerade einen Wurm aus der Erde gepickt, als eine weitere angeflattert kam und Streit anfing. Überrascht war niemand, als wir sein Testament lasen, weder Muddi noch meine Frau. Veddi hatte seinen Körper 'der Medizin' vermacht, deshalb war er dann auch so schnell verschwunden. Er wollte keine Würmer im Bauch haben. Deshalb.
Und gründlich, wie Veddi zeitlebens war, muss er auch in der Uniklinik eine Art Vollmacht hinterlassen haben: damit es schnell geht und noch etwas von ihm zu gebrauchen ist, wie er schrieb. Doch dann hatte Muddi das endgültig neueste Testament gefunden, und darin wollte Veddi alles wieder rückgängig machen und nun doch unter einer Eiche auf dem Friedhof liegen - und zwar in einer Urne.
Veddi hatte sein Leben lang immer wieder Testamente geschrieben, zusammen mit einem ausführlichen Rückblick auf seine Erlebnisse jedes Jahr. Nachdem er seinen ersten Infarkt überlebt hatte, hinterlegte er jeden Monat eines bei Muddi, und als er auch der zweiten Attacke getrotzt hatte, schrieb er beinahe wöchentlich seinen neuen Letzten Willen. Im Wesentlichen verteilte er seine Gartengeräte: ich die Sense, meine Frau die Sichel und Muddi die Häufelhacke. Oder Muddi den Rechen, meine Frau die Sense und ich die Sichel. Und so weiter.
Das mit den Würmern im Bauch tauchte recht spät auf, zusammen mit Laune, seinen Körper der Universität zu schenken. Kann sein, dass ihm nichts anderes mehr eingefallen war.
Als der Totenwagen bremste und ich sah, wer als Bestattungsuntemehmer verkleidet aus dem dunkelgrauen Opel stieg, glaubte ich meinen Augen nicht. Die Nackenhaare sträubten sich, es kribbelte, es knisterte, und es griff mir auf den Schädel über, er war es wirklich: mein früherer Chef, der Vorsteher des Hauptpostamtes, Oberamtsrat Hoyer.
Er öffnete geschäftig die Heckklappe und zog auf dem eingebauten Schlitten den Zinksarg heran. Schon damals steckten seine Hände in Lederhandschuhen, und sein Kopf duckte sich unter einer tief ins Gesicht gezogenen Schirmmütze.
Sie hatten ihn frühpensioniert; er war noch keine fünfzig Jahre alt. Privates Zeug, wie man so tratschte, hatte bei ihm eine Art Schluckauf verursacht, drin im Kopf, oben in den Windungen: Verfolgungswahn. Er rannte zum Schluss nachts auf dem Postamt herum und rückte Schranke und Tische von den Wänden ab, weil er nach möglicherweise heruntergefallenen Briefen fahndete. Oder er trat an die Postsäcke, griff sich eine beliebige Sendung heraus und schaute, ob die Zacken alle unversehrt waren an den Briefmarken, ach ja, Postwertzeichen heißt es, darauf pflegte er bei jeder Gelegenheit zu bestehen. Und wehe...
Mich hatte er mal beim Radiohören erwischt. Mein Gott, um die zwanzig war ich da gewesen. Und während einer Nachtschicht werden die Stunden besonders lang, wenn man nur die Briefe in die Säcke zu werfen hat: acht null hinten rechts, eins ganz links und hopp.
Und dabei Radio hören? Nicht bei ihm. Nicht bei Oberamtsrat Hoyer.
Deshalb also war mir seine Stimme am Telefon so bekannt vorgekommen - diese Art, kaum dass ich mich gemeldet hatte, schon zu schnarren:
" Wer ist da bitte?"
Anfang zwanzig war ich, wie gesagt, kaum aus der Schule raus damals und schon Nachtschichten. Und ohne Vater war ich aufgewachsen, ach, lange her, was soll's.
Hoyer wollte gerade an mir vorbeieilen, als er merkte, dass ich ihm die zwei Stufen entgegengekommen war. Ich hatte meine Hand schon fast ausgefahren, als ich mich doch noch besann. Weiß ich denn, wen und was er alles angefasst hat.
"Herr Hoyer? Sie?"
Er blieb stehen. Die Amseln hinter seinem Rücken stoben zeternd davon. Zum ersten Mal sah er mich wirklich an. Sonst pflegte er an den Menschen, mit denen er sprach, vorbeizusehen oder durch sie hindurch, ist das Ihr Radio?
Und nun sah ich seine graublauen Augen, sah in sein älter gewordenes Gesicht; es kam mir größer vor als früher. Gleichfalls grau, Sie wissen doch, dass Sie das nicht dürfen. Schon gar nicht während der Nachtschicht! Ich hab's nicht in böser Absicht getan.
Das glaube ich Ihnen nicht, nicht Ihnen!, hatte er mit rotem Kopf geschrien.
Ja, gesehen hatten wir uns schon, auch ihm dämmerte etwas, ich sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Ich nahm mir aber vor, mich nicht zu erkennen zu geben. Man hat ja manchmal Eingebungen, auf die man später stolz ist, und stolz sind Menschen auf die eigenartigsten Dinge.
"Kennen wir uns nicht?"
"Wir haben telefoniert."
"Nein, ich meine: ob wir uns nicht irgendwo schon mal gesehen haben?"
"Wir? Uns?", lachte ich künstlich. "Tut mir leid, aber ich bin noch nie gestorben."
Er sah, Mehltau im Blick, wieder an mir vorbei und holte Atem. Noch bevor er etwas sagen konnte, klapperte an der Tür ein Schlüsselbund von innen an die Scheibe. Die Verwalterin der Anatomischen Fakultät war unbemerkt erschienen und hatte die Tür aufgeschlossen. Mit einer Flasche Milch in der Hand hieß sie uns wortreich willkommen und entschuldigte ihre Verspätung mit dem langen Telefongespräch, das sie unseretwegen noch mal mit dem Herrn Professor geführt hat, um ganz sicher zu gehen und damit nun auch alles in Ordnung ist, denn so was ist ja noch nie passiert und der Herr Professor lässt sagen, dass es ihm leid tut. Dabei lächelte sie und auf ihren Wangen bildeten sich Grübchen.
Ich ließ Hoyer den Vortritt. Gelernt ist gelernt. Ruhig rasselte er den Klappwagen mit dem Sarg darauf ins Foyer und zum Fahrstuhl. Die Verwalterin, stämmig gebaut, mit kräftigen Armen, plauderte ununterbrochen, während sie vorging und die Milchflasche schwenkte. Und wie peinlich das doch alles ist, seufzte sie, und wie schade, so ein schönes Exemplar mit so brauchbaren Lungen, in dem Alter und dann Nichtraucher, und so schade ist es ums Herz, hat der Professor gesagt, ein typischer Hinterwandinfarkt, auf einem EKG praktisch nicht zu erkennen; einen Tag später, und die Drittsemester hätten sich darüber hergemacht, die kriegen nämlich immer die frischen; "aber - verstehen kann ich es", sagte sie zu mir, "Sie als Sohn."
Ich stand ihr im Fahrstuhl gegenüber, nur der Zinksarg, in den Veddi gleich hineinkommen sollte, stand zwischen uns. Ich sah sie steinern an.
"Ich bin - der Schwiegersohn."
Hoyer las die Zahlen auf den drei Knöpfen. Die Schiebetüren klapperten verhalten.
Im Raum mit den Wannen, in denen die Toten zunächst zwischengelagert werden, wie uns die Verwalterin sagte, war es nicht kühler als draußen. Hohe gekachelte Wände, sehr sauber, nur an der Decke zwischen den runden Oberlichtern einige fettige Flecken. Die Wannen in die Wände eingemauert, etwa doppelt so lang wie eine gewöhnliche Badewanne und hüfthoch, teilweise versehen mit Blechdeckeln. "Aus Pietät", zischelte die Frau mir zu. Die Wannen ohne Deckel waren demnach leer, man sah nur die spiegelnde Oberfläche der öligen Flüssigkeit, mit der sie gefüllt waren. In der Mitte des Raumes stand auf dicken Beinen ein feuchtglänzender Marmortisch, darunter befand sich ein Ausguss. Klebrigschwer hing der Leichengeruch in der Luft, gemischt mit Formalin und Spiritus.
Die Verwalterin stellte die Flasche mit der Milch auf einen gemauerten Sims bei der Tür, "bei uns ist der Kühlschrank nämlich ausgefallen und warum denn nicht? Im Sommer sitze ich auch manchmal hier und stricke", sagte sie. "Wenn es sehr heiß ist, kommen auch die Studenten vom Präp-Kurs herein und bringen sich Stühle mit."
Hoyer und ich vermieden Blickkontakt. Ich vermisste eine Wanduhr und versuchte zu erraten, in welcher Wanne Veddi liegen würde.
Die Frau zog einen Zettel aus der Kitteltasche, glättete ihn sorgfältig und las.
"Ziehen Sie sich besser auch Schürzen an", sagte sie plötzlich und sah auf. Sie deutete auf Haken an der anderen Seite der Tür. Störrisch legte sich die Gummischürze mir um den Leib. Hoyer keuchte leise bei dem Versuch, sich seine hinten zuzubinden.
"Und denken Sie an die Handschuhe", mahnte sie, während sie ihre gummiverhüllten Finger bereits spreizte. "Zwischen den Fingern kriegen Sie den Gestank sonst nicht weg."
"Doch", widersprach Hoyer und verstaute seine Lederhandschuhe ruhig in der Manteltasche. "Essig und Zitrone mit Handwaschpaste. Das hilft!" Die Verwalterin überhörte es, weil sie nach einem armlangen Rohrstock griff, der an einem Ende dunkel angelaufen war. Damit stocherte sie in einer Wanne voll schwarzem Alkohol, bis der erdfarbene Leib einer männlichen Leiche zögernd hochgetrieben kam. Geschickt griff sie nach dem Fuß und hatte schon den daran hängenden Zettel in der Hand.
"Ach, wie ungeschickt von mir! Er muss ja oben schwimmen, er ist ja erst von neulich", sagte sie und lächelte mit ihren Grübchen Hoyer an. Geräuschlos versank der fremde Leichnam in der dunklen Tiefe der Wanne. Ich dachte an die Beerdigung, um die ich lange herumgekommen zu sein glaubte und die meiner Frau und Muddi nun plötzlich doch noch bevorstehen sollte: das schwarze Herumstehen vor der Kapelle, das Gebimmel. Und mit Hoyer würde ich den Ablauf zu besprechen haben, Sarg Esche natur oder Eiche mit Messinggriffen? Samtbezug? Leinen? Was ist Ihnen Ihr Vater wert, pardon, ich vergaß? Und welches Blumengedeck? Musik gefällig? Zahlen Sie per Scheck? Karte geht auch.
"Hier wird er stecken", freute die Verwalterin sich und hob den Deckel einer anderen Wanne gegenüber an. Dabei verlor sie die Kontrolle über das Ding; es knallte und schepperte nur so, als der Deckel auf den Fliesen landete. Vor Schreck wusste mein Herz nicht, ob rauf oder runter im Brustkorb. Auch Hoyer stöhnte unterdrückt. Dann kam er der Frau zu Hilfe und packte kräftig mit an. Das wollte gar nicht zu dem müden Zug um seine Augen passen, so müde waren sie, und ich hatte mich vor ihnen damals gefürchtet. Und dabei hatte ich nur ein bisschen Güte gesucht bei einem Mann mit grauen Haaren.
Da schwamm Veddi. Nur mit einem Fußzettel bekleidet, war sein Körper nicht so dunkel wie die der anderen Leiche, er war blasslila, mit viel kleinerem Kopf als zu Lebzeiten. Sein Körper wirkte wie gekocht; aberwitzig aufgedunsene Beine, dazwischen ein scheinbar angeklebtes Geschlecht, eingefallene Brust: Ich sah ihn zum ersten Mal nackt. Sein Gesicht hatte keinen Ausdruck, den ich kannte, mir kam er vor wie ein Fremder, der da allein in seiner Wanne trieb. Nur noch ein Buchstabe und eine Zahl wiesen ihn aus auf dem Zettel aus Plastik mit eingestanzten Ziffern; klar: in dieser Brühe überlebt nicht einmal ein Name. Das war nicht der, der mich zum ersten Mal ins Fußballstadion mitgenommen hatte, los komm, mal ohne Weiber, ich lad dich ein, willste Bier? Der mir vorletztes Jahr Skat beigebracht hat. Der mich eine Sense zu führen gelehrt hat. Der ... mir wirbelten die Bilder im Kopf, ich schloss die Augen. Nicht, dass ich mir was mache aus Fußball und Skat, ich mein, ach Scheiße.
Hoyer gab die Anweisungen: so und so. Sie packen jetzt da an. Und hopp. An den Fersen, habe ich gesagt. Na los.
Veddi da rauszuholen war nicht ganz einfach: er war rutschig, seine Haut gab nach, man konnte sie eindrücken, dennoch blieben seine Gliedmaßen steif.
Und ich wieder Anfang zwanzig? Die letzten Jahre Lebenserfahrung plötzlich für die Katz in diesem Kachelraum? Und ich wehrlos gegen die schwelende Wut, die Hoyer wieder anblies; warum es ihm gelang, mich erneut nach all den Jahren zusammenzufalten, dass ich bequem unter der Tür hindurchgepasst hätte ...
Veddis Arm ragte starr ab und wollte nicht passen. Als Hoyer ihn in den Sarg zwängte, knackte er wie ein Ast im Frost, während ich Veddi am anderen Arm festhalten musste. Er fühlte sich an wie mein eigener, wenn ich nachts aufwache und so lange auf ihm gelegen habe, dass alles Blut aus ihm gewichen und er ganz abgestorben ist und mir nicht mehr gehorcht. Ach Veddi, warum konntest du nicht mein Vater sein - warum war es einer, der auf und davon ging für immer?
Hoyer schlug behutsam die Heckklappe des Opels zu.
"Soll ich Sie nicht mitnehmen?" fragte er. Die Atemwolken standen ihm vor dem Mund. Es ließ ihm offenbar keine Ruhe. Mir war es recht, mein Bus wäre ohnehin erst in einer halben Stunde gefahren. Und durchgefroren war ich außerdem.
Die schwarzen Flächen unter der Windschutzscheibe glänzten vom Cockpit-Spray.
Hoyer startete und lenkte den Wagen auf die Stadtautobahn, auf der er trotz Nebel sanft beschleunigte und in die Überholspur schwenkte.
Ich hatte jetzt Lust, mich zu erkennen zu geben, um ihn zu erlösen, hallo, ich bin der, dem Sie damals wegen des Radios das Disziplinarverfahren reingewürgt hatten, und kurz darauf hat man Sie aus dem Verkehr gezogen, wissen Sie noch? Das Verfahren verdarb mir die Karriere und trieb mich auf andere Dienststellen in fremde Städte, das war noch ihr Werk, wissen Sie? Fällt jetzt der Groschen? Lassen Sie uns von alten Zeiten reden, au ja, dann wird uns warm ums Herz!
Statt dessen fing er tatsächlich mit den Verkaufsverhandlungen an; es ging um Esche und Eiche, um Samt und Leinen. Draußen wischte die gleichgültig dreinschauende Stadt vorbei. Und statt meinerseits zu schweigen, stach ich ihn mit ein paar Fragen zu seinem Beruf an, nur damit er endlich aufhörte mit seinen Messingbeschlägen. Er drückte sich gemütlich in den Sitz und plapperte wie freigelassen los: Dass er diesen Job noch nicht lange macht und dass ihm seine Abfindung diesen Einstieg ermöglicht hat, "denn die habe ich damals bei der Post bekommen, ich war da nämlich Vorsteher, müssen Sie wissen. Vorsteher des Hauptpostamtes."
Jetzt hast du ja den idealen Job, dachte ich musste innerlich schmunzeln. Briefmarkensammeln wird dich ja auf Dauer nicht auslasten, und selbst eine fette Pension kann schnell knapp werden, wenn man zuviel Zeit hat und zuwenig zu tun. Und was deine Klienten angeht: die widersprechen wenigstens nicht, oder? Die kannst du rumkommandieren, von denen fürchtet sich keiner mehr vor dir.
Es machte mir Spaß, ihn noch ein wenig zappeln zu lassen, so wie er mich damals hatte zappeln lassen, als er nicht damit rausrückte, auf welche Art er mir den Kopf abreißen wollte nach meinem Dienstvergehen. Als mir vorhin die Verwalterin den Zettel gereicht hatte, auf dem ich quittieren sollte, hatte Hoyer sich fast den Hals verrenkt, um meinen Namen lesen zu können. Ich hatte jedoch den Namen meiner Frau angenommen, denn ich wollte nicht so heißen wie mein Erzeuger, der meine Mutter kurz nach meiner Geburt sitzen gelassen hatte, klein, wie ich war.
Und plötzlich sagte Hoyer, starr auf die Fahrbahn blickend: "Das Schlimmste ist, dass einem niemand mehr die Hand gibt. Auch Sie haben mir vorhin nicht die Hand gegeben. Habe ich Ihnen denn etwas getan?"
Ich musste lächeln. Jetzt bist du reif, Freundchen, schwoll es in mir. "Sammeln Sie eigentlich noch Briefmarken, Herr Oberrat Hoyer?"
" Postwertzei...", wollte er gerade verbessern, doch dann stockte ihm der Atem. So hatte ich es erwartet. Plötzlich wandte er den Kopf von der Fahrbahn ab und bohrte mit den Augen in meine Richtung. Das hatte ich nicht erwartet. Und auf dem Tacho mindestens hundert Sachen drauf!
"Sie!" schrie er. "Dann kenne ich Sie also doch! Sie! Und dieser freche Tonfall die ganze Zeit! Natürlich Sie!"
Ich sah die aufflammenden Bremslichter vor uns und das Ende der im Nebel sich verlierenden Autoschlange, und Hoyer bremste wohl auch noch, aber es war zu spät. Ich starrte nach einer kurzen Bildstörung auf das plötzlich schief- und stillstehende Außenbild, hörte den Motor irrwitzig aufheulen und dann erst den lähmenden Knall, der der Wucht des Aufpralls folgte. Ich wusste nicht, woher das viele Blut kam und die Flamme, die ich aus der aufgeplatzten Motorhaube lodern sah. Das Blut aus dem eigenen Kopf? Der Sarg mit Veddi drin hatte die Wand zum Fahrerraum durchbrochen und Hoyer den Schädel durch die Scheibe gedrückt. Ich sah es noch im Augenwinkel, bevor ich auf das Autobahnbegleitgrün schaute, halb Tränen, halb Flammen im Blick, und ich dachte noch, und ich musste lächeln, ich dachte an Veddi: zum Glück keine Würmer im Bauch.
Dann wurde mir wieder kalt.
Und dann wurde es Nacht.